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Moline, Illinois - Hannibal, Missouri

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Radeln im Aufguss

United Airlines fliegt uns vom deutschen Sommerwinter (10 Grad Celsius am hellichten Tag kurz vor der Abreise) direkt in die Höllenhitze des mittleren Westen. Etwa 350 Kilometer westlich von Chicago treten wir am 30. Juli nach 16 Stunden Reisezeit (davon 15 Stunden und 56 Minuten Sicherheitskontrollen) nichtsahnend vom klimatisierten Flughafen "Moline" mitten hinein in den Wahnsinn. Temperaturen zwischen 37 und 42 Grad in Tateinheit mit 80% bis 90% Luftfeuchtigkeit machen Radfahren zur Grenzerfahrung der unheimlichen Art.

 

Von meinen bisherigen USA-Reisen weiß ich, dass ich fünf Tage brauche, um die Zeitumstellung restlos zu überwinden. Die ersten drei Tage verhält sich mein Kreislauf wie ein Boxer in Runde 15. Berücksichtigt man noch die derzeit herrschenden klimatischen Verhältnisse, kann man es nicht anders als idiotisch bezeichnen, schon schon nach der zweiten Nacht aufs Rad zu steigen eine 95-Kilometer Auftaktetappe in Angriff zu nehmen.

 

Nach 45 Kilometern bin ich dann auch schon vollständig bedient und quäle mich von Schatten zu Schatten voran, wo ich jeweils ein paar Minuten vor mich hin hechle wie ein Bernhardiner in der Sauna. Gut, dass wir Gegenwind haben. Noch nie war mir Gegenwind so willkommen wie heute. Kühlung! Aber der kühlende Wind verwandelte sich im Laufe der Zeit zum heißen Föhn und nach 62 Kilometern war definitiv Schicht im Schacht. Eine sanfte Steigung entfacht ein Feuerwerk an bunten Blitzen vor meinen Augen, stürzt meinen Orientierungssinn in eine Sinnkrise und mir wird schlagartig klar, dass ich in diesem Zustand die verbleibenden 33 Kilometer bis zum Campingplatz in Keithsburg auf keinen Fall mehr schaffen werde. Ich spiele kurz mit dem Gedanken, das Radeln aufgeben und mich als Friedhofsgärtner in Island zu bewerben. Das strengt nicht so an und heiß ist es dort auch nicht. So muß sich Claudius Musculus (Asterix bei den olympischen Spielen) gefühlt haben, als er sich einen Besen (aber keinen allzuschweren) holte und zu kehren begann.

 

So verlockend mir die Sache mit dem Friedhofsgärtner auch erscheinen mag, aber im Augenblick ist sie nicht zieldienlich. Denn wir sind hier im überheizten Niemandsland des mittleren Westens untwerwegs und auf einer Gesamtstrecke von fast 80 Kilometer ist hier nichts außer endlosem Farmland und noch mehr Hitze. Als wir kurz nach besagter sanfter Steigung an einer Farm vorbei radeln und ich eine Person neben einem Gebäude stehen sehe, überstimmt der Körper die Vorherrschaft über das (ausgetrocknete) Hirn. Ich radle spontan von der Straße runter und über den Hof auf den verdutzten Mann zu und lalle ihn an:"... heiss... Kühlung... jetzt!" Atempause, dann "Ist hier ein Raum mit Klimaanlage, in den ich mich eine Weile setzen kann?"

 

Etwas verunsichert, aber freundlich wie die Amerikaner nun mal sind, geleitet mich der ältere Herr ins Innere einer Scheune, in der wiederum ein kleines Büro untergebracht ist, in dem - HURRA - eine Klimaanlage auf vollen Touren läuft. Noch bevor ich mich in den nächstbesten Sessel werfen kann, kommt der Sohn des älteren Herrn dazu, erfasst mit einem Blick die Lage, beordert mich ins Freie, zerrt einen Gartenschlauch aus der Scheune und verpasst mir eine kalte Dusche.

 

Ode an einen Gartenschlauch:

  

"Welch göttlich Labsal nass und kalt

umschmieget den gequälten Körper,

welch Wonneglück durchfließet mich von Kopf bis Zeh,

die Welt, auf einmal nicht mehr heiß und höllisch

erblühet zart zu neuem Leben,

jäh endet jenes graus`ge Beben

mit einem Schlag tut nichts mehr weh."

 

So muß sich eine Wiedergeburt anfühlen, sofern man nicht gerade als Sandwurm in der Sahara erneut ins Rennen geschickt wird. Helm, Trikot, Hose, Schuhe und Socken behalte ich an. Wozu sinnlos Energie verschwenden? Bestimmt ist den Klamotten auch zu heiß. Während das Leben langsam wieder in mich zurückkehrt, betrachte ich fasziniert und vor Glückseligkeit sabbernd meine Schuhe, aus denen bei jedem Schritt das Wasser hervorquillt wie aus einem verstopften Gulli bei Platzregen. Die Lufttemperatur beträgt zu diesem Zeitpunkt 37 Grad Celsius. Rechnet man die Luftfeuchtigkeit von 87% hinzu, ergibt sich eine gefühlte Temperatur von 42,7 Grad. Wer jemals einen Aufguss in der Sauna erlebt hat, weiß, wie heiß es auf einmal wird, obwohl sich die Raumtemperatur durch das Wasser in Wirklichkeit sogar abkühlt. Radeln im Aufguss - welch ein hirnverbrannter Blödsinn!

 

Und Angie? "Ja" sagt sie, "es ist heiß. Wir radeln also nicht mehr?". Das kränkt den männlichen Stolz, aber nicht so sehr, als dass ich noch einmal aufs Rad steige. Ich beschließe, den Schwächeanfall auf die Zeitumstellung zu schieben, unter der ich nun mal mehr leide als Angie. Ja genau. Die Zeitumstellung ist schuld, nicht der alte Mann.

 

Nach der schönsten Dusche meines Lebens bringt uns Terry Elliot - so heißt mein Retter - ins tiefgekühlte Büro, versorgt uns mit Handtüchern und schiebt uns die Bürostühle unter den Hintern. Klitschnass wie ich bin, immer noch in den Radklamotten und sprudelnden Schuhen, die beim Gehen lustig vor sich hinblubbern, erschaffe ich innerhalb weniger Minuten einen künstlichen See im Büro.

 

Terry bietet uns an, dass er und sein Sohn das Wohnmobil flott machen, die Klimaanlage anwerfen und wir im kühlen Camper übernachten dürfen. Ein Angebot, das ich nicht abschlagen kann. Die Mühle will aber nicht anspringen und die beiden müssen erst einmal ein Starthilfekabel organisieren. Irgenwann läuft der Motor, aber die Klimaanlage verweigert den Dienst. Eine halbe Stunde lang versuchen Terry und sein Sohn bei 42,7 Grad, das Ding zum Laufen zu bekommen, bevor sie aufgeben.

 

Ersatzweise fährt uns Terry dann mit seinem Pickup Truck die letzten 30 Kilometer zum Campingplatz, wo ich mir gleich einmal die Handfläche verbrenne, als ich die METALLTÜR zu den Duschräumen öffnen will. Danach baue ich das Zelt auf, was mich alleine schon wieder an den Rand des Zusammenbruchs bringt. Bei diesen klimatischen Bedingungen zelten ist so verlockend, wie in voller Skiausrüstung im Dampfbad zu schlafen. Gegen 02:00 Uhr früh kühlt sich die Luft endlich soweit ab, dass ich einschlafen kann. Welch eine Auftaktetappe...

 

Von Waschmittel, Regen und Mormonen

Sonst gibt es nicht mehr viel zu berichten von der ersten Woche. Höchstens vielleicht noch die Tatsache, dass ich es geschafft habe, eine Familienpackung Flüssigwaschmittel so dämlich in der Gepäcktasche zu verstauen, dass sie ausgelaufen ist. Wie merkt man das, wenn die Packtaschen wasserdicht sind? Wenn sie NICHT wasserdicht sind. Während einer Pause entdecke ich einen verdächtigen und gut duftenden Fleck blauer Flüssigkeit unter der rechten vorderen Radtasche. Ein winziges Loch (woher auch immer das kommt) am Boden der Radtasche hat dafür gesorgt, dass ein Teil des ausgelaufenen Waschmittels den Weg in die Freiheit gefunden hat. Der Rest ist nach wie vor in der Packtasche und hat sich eng mit dem Inhalt befreundet.

 

Am dritten Reisetag gibt es REGEN... R.E.G.E.N. So willkommen war mir Regen noch nie während einer Radtour. Wunderschöner feiner 5-Sterne-Niesel, ein Gedicht! In Nauvoo hat uns der Wettergott mit dieser erfrischenden Dusche beglückt. Nauvoo ist übrigens ein Zentrum der Mormonen. Mormonen? 

Mormonen-Komma-Die-Doppelpunkt:

Im Jahre 1823 erschien der göttliche Bote "Moroni" dem jungen Joseph Smith. Der Engel wußte goldenen Platten zu berichten, die in hebräischer oder ägyptischer Sprache beschrieben seien und irgenwo in der Nähe von New York begraben lägen. Joseph Smith spürte die Platten auf und machte sich alsbald an die Übersetzung; eine Glanzleistung, wenn man bedenkt, dass er außer Englisch keine Sprache beherrschte. Als er das aus dieser Übersetzung hervorgehende Buch Mormon im Jahre 1830 veröffentlichte, hatte er die goldenen Platten aber schon wieder ... zurückgegeben, sodass... nun ja. Wie dem auch sei, das Buch Mormon ist seither die Bibel der Mormonen. Nach diesem Buch hat eine erste Besiedlung Amerikas bereits zu Zeiten des Turmbaus von Babel stattgefunden. Die zweite Einwanderungswelle setzte nach der Zerstörung Jesusalems durch Nebukadnezar und dem daraus resultierenden Babylonischen Exil ab dem Jahre 598 vor Christus ein. Die verlorenen Stämme Israels waren also die eigentlichen Ureinwohner Amerikas und die vom Glauben abgefallenen Lamaniten hat der liebe Gott mit dunkler Hautfarbe bestraft und zu Indianern gemacht. Woha! Meine innere Wohngemeinschaft gerät in Aufruhr. Der Amateurbiologe in mir zuckt ratlos mit den Schultern und der Theologe in mir windet sich in Krämpfen. Abgesehen von alldem scheint dieser Joseph Smith ein äußerst mutiger, friedfertiger, respektabler und beeindruckender Mann gewesen zu sein. Da sei es ihm verziehen, dass er seine überschäumende Phantasie nicht recht in den Griff bekommen hat.

 

Bilder der Woche